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Drascha zum Tu biSchwat, Hamburg, Freitag, 14.02.2025 von Landesrabbinerin Alina Treiger

Aktualisiert: 18. Feb.

„Wenn die Guten schweigen, regieren die Dornbüsche“ Richter 9:8-15


Liebe Gemeinde,


stellt euch eine Welt vor, in der eine neue Führungsperson gesucht wird. Man geht zu einem weisen Gelehrten und bittet ihn, die Verantwortung zu übernehmen. Doch er lehnt ab und sagt: „Ich bin mit meinen Studien beschäftigt. Andere sind für die Politik besser geeignet.“

Daraufhin sucht man einen erfolgreichen Unternehmer auf, doch auch er weigert sich mit den Worten: „Ich habe genug damit zu tun, mein Geschäft zu führen und meine Familie zu versorgen.“


Als Nächstes spricht man mit einem charismatischen Künstler, der Menschen inspiriert und mitreißt. Doch auch er lehnt ab, denn er will sich nicht mit den Problemen der Regierung auseinandersetzen.


Am Ende bleibt nur noch eine Person übrig – jemand ohne besondere Weisheit, ohne Vision, ohne Kompetenz. Doch dieser Mensch hat eines: den Willen zur Macht und die Bereitschaft, Angst und Gewalt einzusetzen. Da niemand sonst bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, wird er schließlich zum Anführer.

Diese Allegorie beschreibt die Geschichte von (Richter 9)


Abimelech, der Sohn Gideons, der wollte König werden.

Er ließ alle seine Brüder ermorden, um die Macht an sich zu reißen.

Am Ende zerstörte er nicht nur seine Feinde, sondern sich selbst – wie ein Dornbusch, der in Flammen aufgeht.

Klingt das bekannt?


Genau das ist die Situation, die uns das Gleichnis von den Bäumen in Richter 9 beschreibt. Die Bäume suchen einen König, doch die besten Bäume – der Ölbaum, der Feigenbaum und der Weinstock – lehnen ab. Schließlich bleibt nur noch der Dornbusch, und er übernimmt die Herrschaft – mit Drohungen und Gewalt.


Diese alte Geschichte ist aktueller denn je. Sie stellt uns drei zentrale Fragen:

Warum lehnten die besten Anführer ab?


Warum übernahm der Dornbusch die Macht?


Was bedeutet das für uns heute?

1. Warum lehnten die besten Anführer ab?

Zuerst gingen die Bäume zum Ölbaum, dann zum Feigenbaum und schließlich zum Weinstock. Jeder von ihnen hatte einen guten Grund, die Herrschaft abzulehnen: (Sifra Be-Chukotaj 1)


Der Ölbaum antwortete:

„Soll ich mein Fett aufgeben, mit dem man Gott und Menschen ehrt, um über die Bäume zu herrschen?“

Der Ölbaum steht für Weisheit, Glauben und göttlichen Segen.

Er erkennt, dass seine Aufgabe nicht die politische Führung ist, sondern der Dienst an Gott und den Menschen.

Ein Philosoph, ein Gelehrter, ein spiritueller Führer – jemand, der die Wahrheit liebt, aber die Politik meidet.


Der Feigenbaum sagte:

„Soll ich meine Süße und meine guten Früchte aufgeben, um über die Bäume zu herrschen?“

Er symbolisiert Wohlstand, Wachstum und das Gute im Leben.

Ein erfolgreicher Geschäftsmann – jemand, der sich lieber um sein eigenes Glück kümmert, als politische Verantwortung zu übernehmen.


Der Weinstock antwortete:

„Soll ich meinen Most aufgeben, der Gott und Menschen erfreut, um über die Bäume zu herrschen?“

Er steht für Freude, Inspiration und Charisma.

Ein Visionär, ein Prediger, Künstler – jemand, der Menschen bewegt, aber keine politischen Kämpfe führen will.


Was können wir daraus lernen?


Die besten Anführer wollten nicht regieren.

Sie waren zufrieden mit ihrem Leben und wollten nicht die Last der Macht tragen.


Sie dachten: „Jemand anderes wird es tun.“

Vielleicht fürchteten sie die Verantwortung, die mit der Regierung einhergeht.

Klingt das nicht wie heute?


Die Weisen ziehen sich aus der Politik zurück.

Erfolgreiche Menschen konzentrieren sich auf ihre eigene Karriere und Familie.

Inspirierende Persönlichkeiten wollen nicht in die harte Welt der Macht eintreten.


Warum übernahm der Dornbusch die Macht?

Da niemand sonst bereit war zu regieren, wandten sich die Bäume an den Dornbusch – die nutzloseste aller Pflanzen.


Der Dornbusch sagte zu ihnen:

„Wenn ihr mich wirklich zum König macht, dann kommt und sucht Schutz in meinem Schatten. Aber wenn nicht – wird Feuer von mir ausgehen und die Zedern des Libanon verbrennen.“


Der Dornbusch gibt keinen Schatten, trägt keine Früchte und bietet keinen Nutzen.


Er ist trocken, stachelig und kann leicht in Flammen aufgehen.

Doch anstatt demütig zu sein, setzt er auf Angst und Gewalt und Täuschung.

Seine Botschaft ist klar: „Wenn ihr mich nicht akzeptiert, werde ich euch zerstören.“


Er ist das Symbol für einen Tyrannen, der keine echte Stärke besitzt, sondern sich nur durch Einschüchterung behauptet.

Warum übernehmen Dornbüsche die Macht?

Weil die Klugen und Fähigen sich nicht einmischen.

Weil Menschen aus Angst oder Bequemlichkeit schlechte Führer akzeptieren.

Weil viele glauben, dass Macht „schmutzig“ sei und sie sich deshalb davon fernhalten.


Moderne Parallelen:

Wie oft erleben wir, dass schlechte Politiker an die Macht kommen, weil die Guten sich zurückziehen?

Wie oft akzeptieren Menschen Tyrannen, weil sie Angst haben oder keinen Widerstand leisten wollen?


2. Was bedeutet das für uns heute?

Das Gleichnis aus Richter 9 ist nicht nur eine alte Geschichte – es ist eine Warnung für unsere Zeit.


Wenn die Fähigen schweigen, übernehmen die Unfähigen.

Macht ist nicht von Natur aus böse – sie hängt davon ab, wer sie nutzt.

Schlechte Führer zerstören nicht nur ihre Feinde – sondern auch ihr eigenes Volk.


Die Frage aus Richter 9 ist heute genauso aktuell wie damals:

Wollen wir von weisen, fähigen und verantwortungsvollen Menschen regiert werden?

Oder überlassen wir die Macht den Dornbüschen – denen, die nur drohen und zerstören?

Macht ist nicht böse – sie ist ein Werkzeug. Die Frage ist, in wessen Händen sie liegt.


Lasst uns dafür sorgen, dass nicht die Dornbüsche regieren und dass die Geschichte sich nicht wiederholt – sondern diejenigen, die Frucht bringen! Die sollen wir unterstützen.


Schabbat Schalom und Chag Tu bi Schwat Ssameach!


Hier geht es zur russischen Version:


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