
Liebe Freunde,
stellt euch vor, ihr seid am Fuße des Berges Sinai. Der Berg raucht, Feuer lodert, die Erde bebt, und aus der dichten Wolke hört ihr eine mächtige Stimme. Aber gleichzeitig steht dort Mose, der Mann, der euch aus Ägypten geführt hat, der Mittler zwischen euch und Gott.
Jetzt stellt euch die Frage: Wenn Mose in diesem Moment auf dem Berg bleibt – wer hat gesprochen? War es Gott oder war es Mose?
Genau das ist die Situation, die der Midrasch Schemot Rabbah 28:3 beschreibt. Gott wollte die Zehn Gebote offenbaren, doch Mose stand auf dem Berg. Und Gott wusste: Wenn Mose nicht hinabsteigt, könnte das Volk denken, dass Mosche göttlich ist?
„Der Heilige, gepriesen sei Er, sprach: „Wenn ich den Himmel über ihnen öffne und sage: ‚Ich bin der Herr, dein Gott‘ (Exodus 20:2), dann werden sie sich fragen: ‚Wer hat gesprochen? War es der Heilige, gepriesen sei Er, oder war es Mose?‘“
Daher sprach der Heilige, gepriesen sei Er: „Mose soll hinabsteigen, und
danach wer-de ich sagen: ‚Ich bin der Ewige, dein Gott.‘“
So sprach der Heilige, gepriesen sei Er, zu Mose: „Geh zum Volk und heilige sie heu-te und morgen, und sie sollen ihre Kleider waschen.“ (Exodus 19:10)
Mosche antwortete Ihm: „Ich habe sie bereits geheiligt“, wie es heißt: „Wie du uns gewarnt hast und gesagt hast: [Setzt eine Grenze um den Berg und heiligt ihn].“ (Exodus 19:23)
Darauf sprach der Heilige, gepriesen sei Er, zu ihm: „Geh hinab, dann sollst du wieder hinaufsteigen, und Aaron mit dir.“ (Exodus 19:24)
Als Mose herabstieg, offenbarte sich der Heilige, gepriesen sei Er, wie es heißt: „Mo-sche stieg zum Volk hinab.“ (Exodus 19:25)
Und unmittelbar danach: „Gott sprach.“ (Exodus 20:1)“
Diese Frage ist nicht nur eine historische oder rabbinische Spekulation – sie berührt das Herzaussage des Judentums: Gott ist einzigartig, unfassbar und kann niemals ein Mensch sein.
1. Die Gefahr der Vermenschlichung Gottes
Gott sprach:
„Wenn ich den Himmel öffne und sage: ‚Ich bin der Herr, dein Gott‘, dann werden sie sich fragen: Wer hat gesprochen – Gott oder Mosche?“
Das Volk Israel war umgeben von Kulturen, die ihre Herrscher vergötterten.
In Ägypten galt der Pharao als Gott.
In anderen Kulturen wie in der mennonitisch und später in der griechischen Mythologie, gab es Götter in menschlicher Form und auch Halbgötter.
Die Menschen suchten nach einem greifbaren Gott, etwas Sichtbarem, das sie verehren konnten.
Aber der Gott Israels ist anders. Er ist kein Mensch, keine Statue, keine physische Gestalt, so wie wir im 2. Gebot gewarnt werden. (Ex. 20:3-4)
„Du sollst keine fremden Götter haben neben mir.
Du sollst dir kein Bild machen, kein Abbild dessen, was im Himmel droben und was auf Erden unten und was im Wasser unter der Erde;
Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen, denn Ich, der Herr, dein Gott…“
Er selbst sagt in 4. Mose 23:19:
„Gott ist kein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue.“
Und auch im Buch Jesaja 40:25 steht:
„Mit wem wollt ihr mich vergleichen, dem ich gleich sei? spricht der Heilige.“
Die größte Herausforderung für den Menschen ist es, an ein abstraktes, unsichtbares Wesen zu glauben. Deshalb erschufen die Menschen immer wieder Götzen oder er-höhten Menschen zu göttlichen Figuren.
Aber der jüdische Glaube betont: Gott ist jenseits von allem.
Also schickt der König ihn fort, damit klar ist: Die Autorität kommt allein von ihm.
Dasselbe geschieht mit Mose:
Wenn er auf dem Berg geblieben wäre, hätten die Menschen denken können, dass Mose selbst Gott ist.
Oder dass die Tora nicht direkt von Gott, sondern von Mose stammt.
Gott wollte klarstellen: Er allein ist die Quelle der Wahrheit.
Mosche war der erste jüdischer Prophet, aber er war kein Gott.
Später wird Mose Fehler machen (z. B. beim Schlagen des Felsens).
Später wird das Volk sagen: „Gib uns einen menschlichen König!“ (1. Samuel 8,5).
Aber Gott bleibt derselbe – ewig, unveränderlich, allmächtig.
Deshalb musste Mose hinabsteigen:
Damit das Volk versteht: Die Offenbarung kommt direkt von Gott.
Damit niemand jemals sagen kann: Mose ist göttlich.
Damit die Thora nicht als Menschenwort, sondern als Gottes Wort verstanden wird.
3. Was bedeutet das für uns heute?
Politische Führer: Manche glauben, dass ein einzelner Mensch ihr Land, ihre Welt oder sogar ihr Leben retten kann. Aber nur Gott lenkt die Geschichte.
Spirituelle Anführer: Manche folgen „Gurus“ oder religiösen Führern blind, als wären sie unfehlbar. Aber kein Mensch ist perfekt.
Materialismus: Manche machen Reichtum, Karriere oder Status zu ihrem „Gott“. Aber all das ist vergänglich.
Der Midrasch warnt uns:
Jeder Mensch ist fehlbar – nur Gott ist vollkommen.
Jeder Anführer kann Fehler machen – nur Gott führt uns ohne Irrtum.
Jede menschliche Ideologie ist begrenzt - nur Gottes Weisheit ist ewig, und sie findet sich in den Worten der Tora (Vayikra 19,18), die für uns nicht neu sind, aber in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder aktuell sind: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst - ich bin der G-tt.
Mögen diese Worte von denen gehört werden, die unsere Schwestern und Brüder als Geiseln halten. Jeder Mensch in dieser Welt, ob einfacher Mensch oder Herrscher, möge sich von diesem einfachen Grundsatz leiten lassen, ohne nach persönlichem Gewinn, Erfolg oder Einfluss zu streben.
Wisse, vor wem du stehst, und vor wem am Ende der Zeit wirst du zur Rechenschaft gezogen werden.
Schabbat Schalom!
Hier geht es zur russischen Version:
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