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Drascha zum Schabbat Bo, Hamburg, Freitag, 31.01.2025 von Landesrabbinerin Alina Treiger

Liebe Freunde,

die Geschichte der Plagen in Ägypten ist nicht nur eine Erzählung über Gottes Eingreifen in die natürlichen Ereignisse der Welt, sondern auch eine tiefgründige Lehre über das Selbstreflektieren, die Suche nach dem Vertrauen in das Gute und nach G-tt in unserem Leben. Der mittelalterliche Midrasch Sefer HaYashar (Schmot 47) schildert diese Ereignisse mit besonderer Intensität und offenbart uns Details, die uns lehren, wie wir Licht und Dunkelheit in unserem eigenen Leben erkennen und darauf reagieren können.

וישלח אלוקים חושך במצרים, ותחשך כל ארץ מצרים ופתרוס שלושת ימים עד אשר לא יראה אדם את ידו בשומה אל פיו. בעת ההיא מתו רבים מעם ישראל על אשר מרדו בה׳, ולא שמעו אל משה ואל אהרון ולא האמינו בהם כי אלוקים שלחם. ויאמרו לא נצא ממצרים פן נמות ברעב במדבר שמם, ולא אבו לשמוע בקול משה. ויגוף ה׳ אותם בשלושת ימי החושך, ויקברום ישראל בימים ההם לבלתי דעת בהם יושבי מצרים וישמחו עליהם. והחושך חזק מאוד במצרים שלושת ימים ויהי כל העומד בבוא החושך, עודנו עומד במקומו. והיושב עודנו יושב ונשובה עודנו שוכב כאשר הוא וההולך ישב לו בארץ במקומו, ויהי הדבר הזה לכל מצרים עד עבור החושך.


„Und der Ewige brachte Finsternis über Ägypten, und das ganze Land wurde drei Tage lang so dunkel, dass ein Mensch nicht einmal seine eigene Hand vor seinem Mund sehen konnte. In jenen Tagen starben viele der Kinder Israels – all jene, die sich gegen den Ewigen aufgelehnt hatten, nicht auf Mose hören wollten und nicht glaubten, dass Gott ihn gesandt hatte. Sie sagten: „Wir werden nicht aus Ägypten ziehen, nur um in der unfruchtbaren Wüste an Hunger zu sterben.“ Und der Herr strafte sie während dieser Tage der Finsternis, und die Kinder Israels begruben ihre Toten in jenen Tagen, damit die Ägypter es nicht erfahren und sich nicht über sie freuen würden.

Die Finsternis war in Ägypten so dicht und intensiv, dass jeder, der stand, als die Dunkelheit kam, stehen bleiben musste; und wer saß, musste weiter sitzen; wer lag, blieb liegen; und wer gerade ging, konnte sich nicht mehr bewegen und blieb am Boden erstarrt. So war es mit allen Ägyptern, bis die Finsternis vorüber war.“


Die Finsternis, die über Ägypten kam, war nicht nur physisch, sondern auch spirituell. Der Midrasch beschreibt, wie die Dunkelheit so dicht war, dass niemand sich bewegen konnte. Es war, als ob die Dunkelheit das innere Chaos und die Verzweiflung der Ägypter widerspiegelte.

Die Finsternis in Ägypten war eine Zeit des Stillstands. Wer saß, blieb sitzen. Wer lag, blieb liegen. Niemand konnte sich bewegen. Eine große Depression. Es war, als ob die Dunkelheit eine Pause im Leben der Ägypter erzwang, um über ihre Handlungen nachzudenken.

Solche dunklen Momente gibt es auch in unserem Leben. Natürlich sollen wir das Leben in Freude verbringen, natürlich sollen wir zum Licht streben, aber Dunkelheit hat auch eine wichtige Bedeutung in unserem Leben, so wie in der Schöpfung. Man kann nicht immer fröhlich sein, manchmal wenn uns eine schlechte Botschaft erreicht oder es einen Sterbefall gibt oder andere bedrückende Umstände, dann gibt es eine legitime Zeit zum Trauern, um uns wieder zu sammeln.

In Momenten, in denen wir uns wie in der Finsternis fühlen – sei es durch Zweifel, Schmerz, Unsicherheit oder Trauer–, haben wir die Gelegenheit, innezuhalten und unser Leben zu überdenken. Was hält uns zurück? Was können wir ändern? Wo finden wir unser Licht? In diesen Zeiten suchen wir auch noch intensiver nach G-tt.

Nur der sture Pharao, der ein Synonym für Jezer haRa, den Bösen Trieb ist, weigert sich, kämpft bis zum letzten gegen das Licht in sich. Wichtig ist in dieser Phase nicht zu lange in der Dunkelheit stecken zu bleiben.


Der Midrasch erwähnt auch, dass während der Finsternis viele Israeliten starben, die nicht an die Verheißung Gottes glaubten. Sie fürchteten, die Sicherheit Ägyptens zu verlassen, selbst wenn es ein Ort der Unterdrückung war. Ihre Angst vor der Ungewissheit übertraf ihren Glauben an die Erlösung.


Wie oft klammern wir uns an das Vertraute, selbst wenn es uns schadet, weil wir Angst vor dem Unbekannten haben? Mir ist es auch bekannt. Die Finsternis zeigt uns, dass es nicht nur die äußeren Feinde sind, die uns bedrohen, sondern auch der Zweifel und die Angst in unseren Herzen.

Doch für die Israeliten, die G-tt vertraut haben und die an die Erlösung geglaubt haben war es anders: Sie hatten Licht in ihren Häusern. Ihr Licht und ihr Vertrauen führten sie aus der Dunkelheit in das verheißene Land. Diese Botschaft gilt auch für uns heute: Wenn wir in unseren schwierigsten Momenten auf unser inneres Licht vertrauen und an Gottes Gerechtigkeit glauben, finden wir den Weg aus unserer persönlichen Finsternis.

Dunkelheit kann lähmend sein, aber sie zwingt uns auch, nach dem Licht zu suchen. Mögen wir alle die Kraft finden, sogar in den dunkelsten Zeiten an Gottes Gerechtigkeit und Führung zu glauben und unser eigenes inneres Licht zu entzünden.


Schabbat Schalom!


Hier geht es zur russischen Version:


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